Artischocken
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Im Mittelmeergebiet zählen sie zum alltäglichen Standardgemüse, bei uns werden sie immer noch von vielen argwöhnisch beäugt: Artischocken. Was dabei konkret auf dem Teller landet, sind die Blütenstände der Artischocke (Cynara cardunculus), eines Distelgewächses aus der Familie der Korbblütler. Ihre mediterrane Herkunft ist unstrittig, der Beginn ihrer Kultivierung lässt sich wenigstens grob um Christi Geburt herum datieren. Wie so vieles, was wir heute selbstverständlich essen, fand sie im Mittelalter über Sizilien ihren Weg nach Europa, wo ihr Verspeisen besonders in Frankreich bald zum Protzgehabe der Aristokratie zählte. Auch wenn Artischocken längst nichts mehr sind, was sich nur Besserverdiener leisten können, umwölkt sie nach wie vor ein Rest gepuderter Noblesse.
Dem eher plebejischen deutschen Supermarkt scheinen Artischocken weitgehend unbekannt zu sein, sollten doch mal ein paar herumliegen, lösen sie allenfalls Mitleid aus. Besser ist die Situation auf Wochenmärkten und generell dort, wo sich artischockenaffine Bevölkerungsgruppen eindecken. Herausgebildet haben sich dabei zwei Hauptstränge: erstens italienische Sorten, die sich größenmäßig zwischen Tulpe und Tennisball bewegen, zweitens handballgroße französische, die fast durchweg aus der Bretagne stammen. Seltener angeboten werden Importe aus Spanien, die denen aus Italien ähneln.
Die Blätter frischer Artischocken sind fest geschlossen, prall und saftig – weit geöffnete Kandidaten mit trockenen, schrumpeligen bis holzigen Spitzen ignorieren Sie nicht mal. Idealerweise befindet sich außerdem noch ein mindestens 10 – 15 cm langes Stück des Stängels am Gemüse, der als Wasserreservoir dient, das die Blüte knackig hält. In Italien lassen manche Händler aus diesem Grund sogar einen halben Meter und mehr dran, was ich bei uns leider noch nirgends gesehen habe. Falls der Stiel indessen komplett fehlt, soll wahrscheinlich mangelnde Frische kaschiert werden, die sich neben den Blättern in schwindender Spannkraft des Stängels manifestiert. Ob Sie große oder kleine Sorten kaufen, hängt vom Angebot und Ihren Plänen ab, schmecken tun sie beide und durch mehrfache Ernten pro Jahr sind die einen wie die anderen immer wieder zu bekommen.
Artischocken in der Küche
Die Verarbeitung großer und kleiner Sorten unterscheidet sich ebenso wie die Möglichkeiten der Zubereitung. Der Artischockenboden steht in beiden Fällen im Zentrum der Begehrlichkeit, bei den Blättern kommt es auf die Größe des Gemüses an. Während Sie die Blätter der kleineren Sorten, zumindest die inneren, komplett essen können, werden sie bei größeren Modellen hart und zäh, bilden am Blattansatz aber ein köstliches Mark aus. Sie ziehen im Fingerfood-Modus Blatt für Blatt ab und zutzeln das Mark mit den Zähnen heraus – am besten, nachdem Sie es in einen geeigneten Dip getunkt haben. Je größer die Artischocke ausfällt, desto sicherer stoßen sie am Ende des Blattabzupfens auf eine massive Ladung Heu – das letzte Hindernis auf dem Weg zum Boden. Doch kümmern wir uns zunächst um die Vor- und Zubereitung.
Kleine Artischocken
Der Stiel sollte dranbleiben, weil er schön aussieht und annähernd so gut wie der Boden schmeckt. Falls das Ende schrundig wirkt, kürzen sie es auf etwa 5 – 8 cm und schälen den Stiel dünn ab. Als nächstes entfernen Sie die unansehnlichen harten Blätter, meistens etwa ein Viertel bis ein Drittel des Bestands. Der Übergang zum Stängel sieht dann etwas zerrupft aus, lässt sich jedoch leicht in Form bringen – beispielsweise mit dem Sparschäler. Schneiden Sie die Spitze des Blütenstandes zu etwa einem Drittel ab und reiben alle Schnittstellen mit etwas Zitronensaft ein, da sich Artischocken schnell verfärben. Was Sie jetzt haben, nennen die meisten Artischockenherzen, manche verwenden diesen Begriff auch synonym zum Boden.
Die Herzen können Sie ganz lassen oder je nach Größe längs in Schnitze teilen. Die Garmethoden sind variabel: blanchieren, dämpfen, dünsten, frittieren – alles ist problemlos möglich. Ganze Herzen können Sie füllen und backen, junge Exemplare finden überdies, zumal in Italien, Anklang bei Rohkostfreunden, die sie in dünne Scheiben schneiden und mit Zitrone und Olivenöl beträufeln.
Große Artischocken
Erster Unterschied: Beim Stängel ist jede Liebesmüh vergebens, ihn zu entfernen ist erste Küchenpflicht. Weil er mit langen Fasern durchwirkt ist, die sich bis in den Boden hinein fortsetzen, sollten Sie ihn keinesfalls abschneiden, sondern über einer Tischkante abbrechen, damit die Fasern aus dem Boden gezogen werden. Als nächstes reißen Sie die störrischen Blätter um den Stielansatz herum ab (eine bis zwei Reihen sind meistens genug) und bringen den Übergang wiederum schnitzend in Form. Auch hier vergessen Sie bitte niemals die Zitronenbehandlung.
Die wohl häufigste Zubereitung großer Artischocken besteht darin, sie im Ganzen zu kochen und zu servieren, als eine Kombination aus dem oben angedeuteten Fingerfood mit anschließendem Verzehr des Bodens. Dafür schneiden Sie das vordere Drittel der Spitze ab und stutzen, wenn Sie lustig sind, die verbleibenden Blätter, damit es netter aussieht. Jetzt kochen Sie die Artischocken etwa 35 – 45 Minuten in Salzwasser, dem Sie etwas Zitronensaft zusetzen, und stellen sicher, dass sie komplett mit Wasser bedeckt sind, indem Sie notfalls einen Teller zum Beschweren drauflegen.
Die Artischocken sind gar, sobald sich die Blätter mühelos herausziehen lassen. Schrecken Sie die Blüten kalt ab und stellen sie zum Abtropfen auf den Kopf. Nach meinem Dafürhalten schmecken sie zimmer- bis lauwarm am besten.
Wie Sie in der Frage des Heus verfahren, hängt von Ihrem Verhältnis zu den Mitessenden ab. Möchten Sie Gästen Gelegenheit geben, wahlweise virtuosen Umgang mit dem Tischbesteck zu demonstrieren oder sich zum Vollhorst zu machen, lassen Sie das Heu drin. Für Sie ist das weniger Arbeit und am Tisch geht es heiter zu. Sofern Sie milder gestimmt sind, drücken Sie das Innere der Blüte vorsichtig auf, bis Sie den geschlossenen, weichen Teil des Blütenkelchs zu fassen bekommen. Den packen Sie im Ganzen und drehen ihn mitsamt dem inliegenden Heu heraus. Ab dem zweiten oder dritten Versuch klappt das rückstandsfrei, bis dahin müssen Sie mit einem Löffel eben etwas nachsäubern – achten Sie vor allem darauf, dass Ihnen nicht die ganze Blüte auseinanderfällt, weil die Blätter im gegarten Zustand wirklich kaum noch Halt haben.
»Häufigste Zubereitung« hin oder her: Natürlich können Sie große Artischocken ebenfalls auf nahezu alle Arten garen, gefüllt oder einfach so.
Gerichte mit Artischocken
- Große bretonische Artischocken im Ganzen sind eine Vorspeise, die zumindest Kenner stets zum Jubilieren verleitet. Klassischerweise reichen Sie eine Sauce Vinaigrette dazu, prima schmecken außerdem Saucen auf Mayonnaisebasis, etwa mit Knoblauch und/oder Orangen.
- Um Artischocken zu füllen, eignen sich neben Knoblauch ganz besonders kräftigere Käse, Weißbrot bzw. Paniermehl, Sardellen, Petersilie, Minze und Thymian.
- Andere Gemüse mit Artischocken zu kombinieren, drängt sich angesichts ihres ausgewählt feinen Eigengeschmacks zwar nicht auf, kann aber dennoch interessant schmecken. Die Nachbarschaft von Wurzelgemüse wie Karotten, Rote Bete und Sellerie funktioniert recht passabel, besser noch sind Salate wie Rucola oder grüne Blattgemüse, etwa Spinat.
- Fische, besonders gebratene, finden in Artischocken überzeugende Begleiter, dasselbe gilt für Hummer und Garnelen. Falls das alles keine Option ist, nehmen Sie stattdessen Huhn.
- Nachgerade begeisternd ist die Verbindung mit (schwarzen) Oliven, sei es als Tapenade oder püriert, z. B. als Zutat einer Tomatensauce. Wo Oliven fehlen, behelfen Sie sich mit Olivenöl.
Begleitaromen für Artischocken
Außer den genannten Zutaten sind Sie mit Butter, Eiern, Lorbeerblättern, (schwarzen) Trüffeln, Zitronen und Zwiebeln im Umfeld von Artischocken immer gut aufgestellt.
Kontext
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2 Kommentare
Fritz Assenbaum # 1 – 08.01.24, 19:01 Uhr
Hallo Herr Schmidt,
ich habe wieder eine frage die ein Rezept von Eugénie (Mère) Brazier betrifft. Ich lese gerade das Buch über Bernard Pacaud. Darin findet sich u.a. die Vorspeise „Fond d´artichaud au foie gras“. Ich habe die KI von Bing bemüht, aber kein original Rezept gefunden. Können Sie mir weiterhelfen (wie schon bei den Quitten geschehen)?
Danke
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Ralf Schmid # 1.1 – 08.01.24, 20:27 Uhr
Hallo Herr Assenbaum,
mit dem Originalrezept kann ich Ihnen leider nicht dienen, ich habe von dem Gericht noch nie gehört. »Artischocken-Fond mit Gänsestopfleber« hört sich allerdings nach nichts an, für das Sie unbedingt ein Rezept brauchen. Sie kochen Artischocken und erhalten sozusagen als Nebenprodukt einen Fond, den Sie im zweiten Schritt auf die gewünschte Intensität reduzieren oder ihn auch noch mit irgendwas abbinden können. Den reichen Sie dann zur Stopfleber und haben immerhin schon mal das, was der Name des Gerichts in Aussicht stellt. Da der Fond nun aber nach nichts anderem als Artischocken schmecken wird, können Sie auch gleich Artischocken mit Stopfleber paaren. Ich habe zumindest diese Kombination mal in einem Restaurant gegessen und fand sie prima.
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