Vichy-Karotten
- EN Vichy carrots
- FR carottes (à la) Vichy
- ES zanahorias (a la) Vichy
- IT carote alla Vichy
Zu den erfreulichen Aspekten der Kochkunst zählt die Verblüffung, die sich gar nicht mal so selten einstellt, wenn mit kaum zu unterbietendem Minimalaufwand unerwartet gute Gerichte entstehen, Vichy-Karotten sind dafür ein Paradebeispiel. In Deutschland mutieren sie meist lässig zu Wischikarotten, betonen Sie Vichy aber korrekt auf der zweiten Silbe, klingt es gleich angemessen mondän nach ihrer Herkunft aus der höheren französischen Küche, die ansonsten zuallerletzt durch Simplizität auffällt. Das Mondäne speist sich in diesem Fall aus dem Vichy-Wasser, in dem die Karotten laut Lehrbuch gegart werden, nachdem Sie mit Schalotten und etwas Zucker in Butter angeschwitzt wurden.
Das Wasser der zwölf kohlensäurehaltigen Quellen in Vichy spielt heute keine bedeutsame Rolle mehr, einige hundert Jahre lang lockte es aufgrund der ihm zugesprochenen Heilkräfte allerdings Scharen von Adligen in die Auvergne und Vichy entwickelte sich zu einem der schillerndsten Kurbäder der internationalen Noblesse, bis sich 1940 das faschistische Vichy-Regime dort niederließ, um mit den NS-Besatzern im Norden und Westen Frankreichs mehr oder weniger begeistert zu kollaborieren, und die Dachmarke Vichy damit empfindlich beschädigte. Zwar wurde nach dem Krieg alles versucht, die alte Pracht zu restaurieren, die Luft war aber im Wesentlichen raus und die Karawane zog weiter – geblieben ist immerhin eine der besten Karottenzubereitungen, womit sich nur wenige Orte brüsten können.
Da selbst gediegenere Restaurantküchen kein Vichy-Wasser herumstehen haben, stellt sich die Frage, worin die Karotten stattdessen gegart werden. Pragmatisch einigte man sich auf irgendwie kohlensäurehaltiges Wasser, das dann eben von sonst wo kommt – notfalls aus dem heimischen Sprudler. Generationen von Köchen schworen sich nackend in die Hand, dass die Kohlensäure unverzichtbar sei, und auch ich habe mich stets brav daran gehalten, vermutlich aus Angst, mit einem schlimmen Fluch bedacht zu werden, wenn ich einen solch zentralen Lehrsatz anzweifle. Schwerer noch wiegt allerdings die Furcht, von Ihnen als Erzähler von Ammenmärchen geschmäht zu werden, weshalb ich mich vor der Niederschrift dieses kleinen Aufsatzes einfach mal zusammengerissen und die Probe aufs Exempel gemacht habe.
Dafür teilte ich alle Zutaten in zwei Hälften und benutzte identische Kochgeschirre, Herdplatten und Temperaturen. Der einzige Unterschied bestand darin, einmal Wasser mit und einmal ohne Kohlensäure zu verwenden – ganz krass direkt aus dem Hahn. Um auf Nummer Sicher zu gehen, verband ich mir nach der Fertigstellung außerdem die Augen und schob die beiden Sauteusen nach Art eines Hütchenspielers solange hin und her, bis mir leicht schwindlig wurde und ich wirklich nicht mehr wusste, welche was enthielt. Ich kann Ihnen seither empirisch belegt zusichern, dass Sie getrost zum Wasser Ihrer Wahl greifen können, selbst mit sensibelstem Erschmecken ist kein Unterschied zu erkennen. Aber: Die Bläschenbildung beim Ablöschen der angeschwitzten Karotten ist derart spektakulär, dass Sie wahrscheinlich gar nicht genug davon bekommen und insofern immer wieder zur Kohlensäure greifen und so dazu beitragen werden, dass auch kommende Generationen diese schöne Tradition fortführen und der Glanz von Vichy niemals ganz verstumpfen wird.
- 400 g Karotten
- 1 Schalotte (~ 25 – 30 g)
- 40 g Butter
- 15 g Zucker
- 120 ml Lieblingswasser (mit oder ohne Kohlensäure), plus mehr zum Nachjustieren
- 1 – 2 EL frisch gehackte Petersilienblätter nach Belieben
- Salz, Pfeffer
Karotten schälen und in 2 – 3 mm dicke Scheiben schneiden. Schalotte schälen und in mikroskopisch kleine Würfel schneiden.
Butter bei mittlerer Hitze schmelzen, Zucker einrühren und Schalottenwürfel in der Butter-Zucker-Mischung anschwitzen, bis sie weich und goldgelb sind. Weder die Butter noch die Schalotten sollen bräunen. Karottenscheiben zugeben, leicht salzen und unter häufigem Rühren 3 – 4 Minuten mitschwitzen.
Mit Lieblingswasser ablöschen, aufkochen und 3 – 4 Minuten zugedeckt köcheln lassen. Deckel abnehmen und offen 5 – 10 Minuten weiterköcheln, bis die Flüssigkeit fast vollständig verdampft und die Karotten weich mit leichtem Restbiss sind. Wasser nachgießen, falls es zu schnell verdampft. Der letzte Rest Wasser emulgiert idealerweise mit der gesüßten Butter zu einer geschmeidigen Glasur, die sich über die Karottenscheiben legt.
Mit Salz und frisch gemörsertem Pfeffer abschmecken und gehackte Petersilie untermengen.
Kontext
Fragen, Jubel oder Klagen? Lassen Sie es mich und die anderen Leser wissen!
8 Kommentare
doro # 1 – 09.12.21, 08:31 Uhr
sehr schöne seite! interessantes hintergrundwissen. und nicht zuletzt eine portion humor. morgen gibts die beurre blanc und die vichykarotten zum seelachs. ich freu mich schon aufs kochen. bitte weitermachen!
lg aus spanien
doro
Antworten
Ralf Schmid # 1.1 – 09.12.21, 12:21 Uhr
Schönen Dank für die Blumen. Weiter geht es immer irgendwie, dazwischen gibt es halt längere Lücken, weil wieder mal irgendwelche Bagatellen zuviel Zeit fressen. Die Seelachs-Kombi finde ich klasse, das geht bestimmt prima zusammen!
Antworten
dor # 1.2 – 10.12.21, 17:34 Uhr
gerne, lieber ralf! das mit der betonung auf der ersten silbe ist natürlich in erster linie den schwaben zuzurechnen! ich weiss wovon ich rede. als “alte” schwäbin im exil…bin vor 21 jahren von RT nach spanien umgezogen.
seelachs gabs heute nicht. corvina hat mich nicht angelächelt. nun ists nur lachs. ohne see. zucht. klar. wird schon schiefgehn. weisser fisch wäre mir lieber gewesen.
schönes we!
doro
Antworten
doro # 1.3 – 11.12.21, 07:56 Uhr
ja, das war zum jubeln! alles war neu, weil ich für mich alleine meist “schlammpfanne” zubereite.
und alles hat super geklappt. die beurre blanc..herrlich. hab noch etwas scharfen senf zugegeben.
und die rübchen….toll. das mach ich wieder. lachs in der warmen zubereitung is nicht mein ding. aber ich mach ihn, alle jahre wieder, als graved für weihnachten, silvester. so und kalt geräuchert ist er mein liebling.
beste grüße doro
Antworten
Ralf Schmid # 1.4 – 12.12.21, 19:14 Uhr
Jubeln ist doch schon mal was, der Drang taucht im Allgemeinen ja eher selten auf. Und das hübsche Wort »Schlammpfanne« habe ich noch nie gehört, wahrscheinlich Reutlinger Slang (natürlich ohne abschließendes -e). Ist das dieses legendäre Gericht, bei dem man alles in die Pfanne haut, was man gerade im Haus hat?
Antworten
doro # 1.5 – 14.12.21, 22:56 Uhr
ganz genau. alles was weg muss.
doch heute gabs köstlich kalt geräucherte Forelle mit honauer kartoffeln.
zum thema betonung auf der falschen silbe (vichy) fiel mir das wort “Touchon” ein.
in der schwäbischen restaurantküche darf man da halt nicht so genau hinhören…
ich hab oben im achalm restaurant/hotel gelernt.
Antworten
Ralf Schmid # 1.6 – 17.12.21, 17:20 Uhr
Die Neigung zum Betonen der ersten Silbe ist im Schwäbischen sicher ausgeprägt, zur Ehrenrettung unseres nicht nur sprachlich umstrittenen Stammes möchte ich aber darauf hinweisen, dass sich Bewohner anderer Ecken ebenfalls nicht überanstrengen – Raggu feng lässt grüßen. Das Toscho finde ich auch ziemlich gut, mein absoluter Favorit ist aber Bemmeri (fürs Warmhalte-Wasserbad Bain-Marie). Wobei die meisten Franzosen in dem Punkt die Nase gar nicht erst zu rümpfen brauchen: Bemerkt man überhaupt, dass sie gerade eine Fremdsprache sprechen, kommt man nur in Ausnahmefällen darauf, welche das wohl sein könnte.
Antworten
Alexander Makris # 2 – 09.01.22, 12:42 Uhr
Bonjour,
freue mich, die Kommentarfunktion zu erblicken und darf herzlich zu den aktuellen Beiträgen gratulieren — mal wieder ein herrliches Vergnügen!
Herzlichen Gruß
AM
Antworten