Sauerfleisch
Deftig und gleichzeitig erfrischend, zählt Sauerfleisch zu den seltenen Kreationen, die in sich vereinen, was auf den ersten Blick als Widerspruch erscheint. Fleisch wird in einem säuerlichen Sud gekocht und anschließend gekühlt, wobei der Sud zum Gelee erstarrt. Der Vergleich mit Tellersülze drängt sich auf, die Unterschiede sind allerdings mindestens so groß wie die Ähnlichkeiten. Wirkt die Tellersülze mit ihren oft adretten Layouts erkennbar aufstiegsorientiert, bleibt das Sauerfleisch klassenbewusst im Bodenständigen verhaftet. Vor allem schmeckt Tellersülze nicht sauer, während das Sauerfleisch aus gutem Grund so heißt.
Man kennt Sauerfleisch in verschiedenen Regionen Deutschlands und Österreichs, doch sein unangefochtenes Kernland liegt im hohen Norden, wo es zumindest im Sommer auf kaum einer Speisekarte fehlt. Das ursprünglich eine Zubereitungsvariante bezeichnende Holsteiner Sauerfleisch ist folglich längst zum gebräuchlichen Synonym fürs Gericht als solches geworden. Ziemlich sicher mit dabei sind Bratkartoffeln, auch Sauce Remoulade ist als Begleiterin praktisch gesetzt. Essen Sie Sauerfleisch außerdem nur in extremen Notsituationen ohne ordentlich Bier dazu.
In der Küche
Sauerfleisch ist von mürber Konsistenz, das umgebende Gelee glibberig bis schnittfest, säuerlich schmeckt beides, das Gelee ausgeprägter als das Fleisch. Rustikal hin oder her, ist auch der Look ein Thema: Je heller und gläserner das Gelee, desto besser.
Das richtige Fleisch
Das eingangs geäußerte »deftig« lässt es bereits erahnen: Abgesehen von einzelnen Landstrichen, in denen Rindfleisch bevorzugt wird, besteht Sauerfleisch normalerweise aus Schweinefleisch und zwar tendenziell dessen durchwachsenen Stücken, also Hals (Nacken, Kamm), Bauch und Hachse (Wade, Eisbein). Möchten Sie fürs Gelee auf die Zugabe von Gelatine verzichten, müssen Sie Teile mitkochen, die weniger Fleisch, dafür massenhaft kollagenhaltiges Bindegewebe enthalten: Spitzbein (Fuß, Pfote), Ohren, Schwänze oder Backen.
In manchen Fällen ist Sauerfleisch von hübscher roter Farbe, ein hundertprozentiger Indikator, dass es vor dem Kochen eine Woche oder länger in Pökellake badete. Das Pökeln sorgt für die Stabilisierung des Muskelfarbstoffs Myoglobin und macht das Fleisch noch mürber. Pökelsalz leidet aber – obschon es in so gut wie jedem Wursterzeugnis enthalten ist – unter einem denkbar schlechten Ruf. Sofern Sie der nicht weiter juckt, ist gepökeltes Fleisch allemal eine gute Option.
Das Gelee
Das Protein Kollagen ist das Zaubermittel, das die Flüssigkeit gelieren lässt, indem es durch fortdauernde Einwirkung von Hitze allmählich zu Gelatine »schmilzt«. Was im Umkehrschluss heißt, dass ausreichend Kollagen im Fleisch sein muss, sonst wird Ihr Sud bestenfalls leicht gebunden, aber niemals zum Gelee. Im Hals und Bauch ist der Anteil definitiv zu gering, in der Hachse etwas höher. Die Kollagenbombe schlechthin sind Schweinefüße, während Ohren, Schwänze und Backen im Mittelfeld rangieren. Ob der Gehalt für ein Gelee ausreicht, können Sie vorher kaum zuverlässig einschätzen, Sie sollten also in jedem Fall Gelatine als Reserve vorhalten.
Warum viele Rezepte den Verzicht auf Gelatine als Überlegenheitsmerkmal feiern, ist mir unbegreiflich. Okay, das Mitkochen eines Schweinefußes verleiht Ihrem Sud unbestritten Geschmack, was bei industriell hergestellter Gelatine entfällt. Es ist dem Sud jedoch herzlich egal, ob er vom denaturierten Kollagen des mitgekochten Schweinefußes gebunden wird oder von Gelatine, dem aus Schweinefüßen isolierten Endprodukt der Kollagen-Denaturierung. Falls Ihnen Gelierproben und schlaflose Nächte ein Gräuel sind, greifen Sie also lieber zu Gelatine, mit der Sie mühelos zu berechenbaren Ergebnissen gelangen.
So Ihre Gelatine-Ablehnung hingegen die strikteste ist, würde ich an Ihrer Stelle zu Beginn des Kochens kleine Teller ins Tiefkühlfach packen. Vom fertigen Sud geben Sie dann einen Esslöffel auf das inzwischen sehr kalt gewordene Porzellan und stellen das Ganze zehn Minuten in den Kühlschrank. Die zu erwartende Festigkeit können Sie damit einigermaßen einschätzen (nach vielen Stunden der Kühlung wird das Gelee fester sein als die Probe). Mit etwas Glück passt es bereits, mit weniger Glück müssen Sie Ihr Verhältnis zur Gelatine notgedrungen überdenken, um den Sud nachzugelieren. (Oder Sie gehen stattdessen konsequent los und beschaffen weitere Schweinefüße.)
Die Säure
Das Erfrischende am Sauerfleisch speist sich aus der Kombination von Kühle und Säuerlichkeit. Erreicht wird die Letztere durch großzügige Essig-Zugaben, zuweilen wird auch Wein beigemischt. Es braucht in diesem Fall kein Edel-Essig der aktuell hipsten Manufaktur zu sein, einfache Qualitäten reichen vollkommen aus. Sie sollten nur darauf achten, dass der Essig nicht zu dunkel ausfällt. Farbloser Branntwein- und heller Weißwein-Essig eignen sich am besten.
Gemüse und Gewürze
Wie die meisten Brühen profitiert auch der Sauerfleisch-Sud von würzenden Gemüsen. Zwiebeln sind hier erste Wahl, Lauch kann ebenfalls nie schaden, Karotten steuern erdige Süße bei. Die dunkelgrünen Enden des Lauchs lassen Sie besser weg, weil sie den Sud verdunkeln, dasselbe passiert, wenn Sie es mit den Karotten übertreiben. Probate Gewürze sind Lorbeer, Nelken, Pfeffer, Piment, Senfkörner und Wacholderbeeren.
- 1,5 kg Schweinehals ohne Knochen
- Optional: 1 – 2 Schweinefüße oder -schwänze
- 4 mittelgroße Zwiebeln
- 2 mittelgroße Karotten
- 1 mittelgroße Stange Lauch
- 2 l Wasser
- 250 ml heller Branntweinessig
- 250 ml Weißweinessig
- 40 g Zucker
- 30 g Salz
- 1 TL weißer Pfeffer
- 1,5 TL weiße Senfkörner
- 1,5 TL Wacholderbeeren
- 1,5 TL Piment
- 5 Nelken
- 3 – 4 Lorbeerblätter
- 12 Blatt Gelatine (Menge reduziert sich, falls Füße oder Schwänze mitgekocht werden)
- Salz, Zucker und Weißweinessig zum nachträglichen Abschmecken des Suds
- Optional: Essiggurken als Begleiter
Zwiebeln schälen und grob würfeln, Karotten schälen, Lauch putzen und den dunkelgrünen Teil entfernen.
Wasser mit Essig, Salz, Zucker und allen Gewürzen zum Kochen bringen, Fleisch und Würzgemüse in den Sud geben und etwa 2 Stunden auf kleinster Flamme kochen, bis das Fleisch weich ist.
Fleisch aus dem Sud nehmen und abkühlen lassen. Karotten und Lauch ebenfalls aus dem Sud entfernen, Karotten in Scheiben schneiden, Lauch wegwerfen. Sud durch Tuch passieren, Zwiebeln behalten.
1 Liter vom Sud abmessen und bei Bedarf mit Weißweinessig, Salz und Zucker abschmecken. Die Säure soll deutlich im Vordergrund stehen, der Sud im Gesamten aber süßsauer schmecken.
Eingeweichte und ausgedrückte Gelatineblätter im heißen Sud auflösen. Falls Füße oder Schwänze mitgekocht wurden, vorher Gelierprobe machen und Gelatine entsprechend reduzieren oder ganz weglassen.
Fleisch in Scheiben oder Stücke schneiden, in flachem Gefäß auslegen, nach Belieben Zwiebeln und Karotten zugeben und mit soviel Sud übergießen, dass alles vollständig bedeckt ist.
Sauerfleisch mindestens 12 Stunden kühlen und erst kurz vorm Servieren aus dem Kühlschrank nehmen.
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