Ragù alla bolognese
Kennt jeder, kocht jeder, mag jeder: Ragù alla bolognese, die allerweltberühmeste Hackfleischsauce aus Bologna in der norditalienischen Emilia-Romagna. Außerhalb Italiens läuft sie auch als frankofonisierte Sauce bolognaise und wird meistens für Spaghetti bolognese herangezogen, während sie in ihrer Heimat am liebsten mit Tagliatelle oder als Füllung von Lasagne gegessen wird.
Das älteste dokumentierte Rezept für Pasta mit ragù wurde Ende des 18. Jahrhunderts im nahe Bologna gelegenen Imola zu Papier gebracht. Der Durchbruch zur »Mutter aller Pastagerichte« ereignete sich allerdings erst frühestens 100 Jahre später, als der florentinische Kaufmann und Gourmet Pellegrino Artusi ein umfassendes italienisches Kochbuch mit knapp 800 Rezepten veröffentlichte,1 in dem unter der Nummer 87 Maccheroni alla bolognese beschrieben werden, die mit heutigen Gepflogenheiten allerdings nur wenig gemeinsam haben.2
Ragù alla bolognese zählt ohne Zweifel zu den Geniestreichen der Kochkunst. Die Zutaten sind bezahlbar und leicht zu beschaffen, die Zubereitung ist selbst von Kochanfängern locker zu bewältigen und doch kann am Ende ein sensationell gut schmeckendes Gericht herauskommen. Ob Letzteres gelingt oder das Ergebnis höchstens so mittel ausfällt, ist eine Frage der Sorgfalt und der Aufmerksamkeit, die Sie den Details widmen. Was mir als Bolognese schon alles auf den Tisch gestellt wurde, wollen Sie lieber nicht so genau wissen – Einfachheit wird leider allzu oft als Ermunterung zum lustlosen Hinzwitschern fehlinterpretiert. Streben wir folglich nach dem entgegengesetzten Ende der Skala, wo es weitaus spaßiger zugeht und Ihre Urteilskraft hinreichende Pflege erfährt.
Zutaten und Zubereitung
Ragù alla bolognese ist ein Schmorgericht und somit das exakte Gegenteil von schneller Küche. Rechnen Sie mit mindestens eineinhalb bis zwei Stunden Garzeit, die fürs Schmoren zentrale Umwandlung von zähem Bindegewebe in sämige Gelatine lässt sich nun mal nicht beschleunigen. »Gar« ist das Hackfleisch zwar bereits um einiges früher, aber wir wollen ja gut kochen und nicht bloß irgendwie garen.
Mengenmäßig betrachtet sind Hackfleisch und Tomaten die beiden Hauptbestandteile, den Unterbau bildet wie in vielen italienischen Gerichten ein Soffrito, fein gewürfelte Würzgemüse, dazu gesellen sich optionale Veredelungen. Häufig Pancetta, zu Rollen gebundener und luftgetrockneter Schweinebauch (den Sie durch mild geräucherten Bauchspeck ersetzen können), bisweilen außerdem getrocknete Pilze oder Geflügelleber. Die Schmorflüssigkeit speist sich teils aus den Tomaten, allemal ratsam ist die Zugabe von Wein, auch Brühe oder das Einweichwasser der Pilze schaden nie. In Italien normal, bei uns kaum geläufig, ist die Abrundung durch Milch. Mit Bedacht dosiert, verleiht sie der Sauce Bindung und steigert die Cremigkeit.
Die oben geforderte Sorgfalt beginnt spätestens beim Zerkleinern der Zutaten. Gemüse und Speck sollen sich im Lauf des Schmorprozesses nahezu auflösen, dafür ist es unabdingbar, die Würfel so fein wie möglich zu schneiden (für Ungeübte zugegeben ein mühsames Geschäft, es wird aber besser mit der Zeit). Der nächste häufig vernachlässigte Punkt betrifft das Anbraten des Fleisches. Nicht wenige Rezepte empfehlen, erst das Gemüse anzubraten und dann das Fleisch zuzugeben, was jeder Logik spottet. Das Hackfleisch soll ausgeprägte Röstflächen entwickeln, dafür benötigt es eine relativ heiße, wasserfreie Umgebung. Gemüse schwitzen Sie bei deutlich geringerer Hitze an, auch tritt dabei schnell Wasser aus, das später zugefügte Fleisch kann demzufolge nicht mehr bräunen, außer Sie riskieren, dass Ihr Gemüse verbrennt. Also: Erst das Fleisch anbraten, dann die Hitze reduzieren und die Gemüse zugeben.
Das Schmoren verläuft wie immer. Nachdem die Flüssigkeit drin ist, lassen Sie das Ganze kurz aufkochen, dann legen Sie einen gut schließenden Deckel auf und schalten die Temperatur so weit herunter, dass die Flüssigkeit nur noch leise vor sich hin blubbert. Sie können den Schmortopf alternativ bei 120 bis 130 Grad in den Backofen stellen.
Ob Sie das angerichtete Ragù mit Käse bestreuen oder nicht, ist eine Glaubenssache, schmecken tut (mir zumindest) beides. Sofern Sie sich dafür entscheiden, reiben Sie ihn besser kurz vorm Anrichten frisch vom Stück – der Unterschied zum Reibkäse aus dem Tütchen ist beträchtlich.
- 500 g gemischtes Hackfleisch (Schwein und Rind)
- 50 g Pancetta oder mild geräucherter Bauchspeck
- 400 g Dosentomaten, stückig
- 1 mittelgroße Zwiebel
- 75 g Karotten (~ 1 mittelgroße)
- 75 g Staudensellerie (~ 1 Stange)
- 1 – 2 Zehen Knoblauch
- 10 g getrocknete Steinpilze
- 1,5 EL Tomatenmark
- 150 ml trockener Rotwein
- 100 ml Vollmilch
- 1,5 TL Paprikapulver, edelsüß
- 3 Lorbeerblätter
- Salz, Pfeffer, Olivenöl oder Butterschmalz zum Braten
- Parmesankäse nach Belieben
Steinpilze mit kochendem Wasser übergießen, bis sie bedeckt sind und beiseite stellen. Pancetta in möglichst kleine Würfel schneiden. Zwiebel schälen und fein würfeln, Knoblauch schälen und fein hacken. Karotten schälen, Sellerie von Längsfäden befreien, beide Gemüse in 1 mm kleine Würfel schneiden. Die zwischenzeitlich weich gewordenen Steinpilze ausdrücken (Einweichwasser nicht wegschütten!) und fein hacken.
In einem gut schließenden Schmortopf großzügig Olivenöl oder Butterschmalz erhitzen und das Hackfleisch darin unter ständigem Rühren anbraten, zusammenklebende Fleischkugeln dabei unnachgiebig zerdrücken, damit das Fleisch kleinteilig und körnig wird. Das Anbraten kann ohne Weiteres 15 Minuten dauern, bis das Fleisch gut gebräunt und knusprig ist und sich am Topfboden deutliche Röstspuren gebildet haben.
Auf halbe Hitze runterschalten, Zwiebeln und Pancetta unters Fleisch mengen und etwa 5 Minuten mitbraten. Anschließend die Karotten- und Selleriewürfel, Pilze, Lorbeerblätter sowie den Knoblauch hineingeben und ebenfalls einige Minuten mitbraten. Paprikapulver und Tomatenmark unterrühren und weitere zwei Minuten braten. Salz und Pfeffer zugeben.
Mit dem Rotwein ablöschen, kurz einkochen lassen, Tomaten und das Einweichwasser der Pilze zugießen, alles aufkochen lassen, dann einen Deckel auflegen und die Hitze auf kleinste Stufe reduzieren.
Das Ragù mindestens 90 Minuten, besser 2 Stunden schmoren lassen, dabei immer wieder die Konsistenz kontrollieren und gelegentlich einen Schluck Milch unterrühren. Das Fleisch soll sich mit der Flüssigkeit zu einer möglichst homogenen und sämigen Sauce verbinden.
1 Pellegrino Artusi »La scienza in cucina e l’arte di mangiar bene«, L’Arte della Stampa, Firenze, 1891. Deutsche Ausgabe: »Der große Artusi: die klassische italienische Küche«, Mary Hahn Verlag, München, 1982. Artusi gilt aufgrund dieses Buches als Begründer der italienischen Nationalküche. Natürlich haben die Italiener schon lange vor Artusi gekocht, aber Italien entwickelte sich ebenso wie Deutschland erst spät zur Nation, weswegen auch im Kulinarischen die Kleinstaaterei vorherrschte.
2 Freunde von Originalrezepten kommen hier auf ihre Kosten.
Fragen, Jubel oder Klagen? Lassen Sie es mich und die anderen Leser wissen!
7 Kommentare
Martin Gundlach # 1 – 21.05.22, 11:55 Uhr
Sehr geehrter Herr Schmid,
eine ganz feine Webseite haben Sie da. Bin auf der Suche nach einem Rezept für Schweinebäckchen darauf gestossen. Hat hervorragend funktioniert, sprich geschmeckt.
Vielen Dank!
Das Ragu koche ich seit vielen Jahren ähnlich nach einem Rezept von Marcella Hazan. Dabei wird die Milch nach dem Weißwein zugegeben, dann wie der Wein eingekocht und erst dann kommen die Tomaten. Dann darf es gern ein paar Stunden köcheln.
Beste Grüße aus Konstanz
Martin Gundlach
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Ralf Schmid # 1.1 – 23.05.22, 14:18 Uhr
Vielen Dank fürs Lob, freut mich, dass Sie offenkundig gut zurechtkommen. Wann die Milch nun ganz genau zugegeben wird, scheint mir nicht so wichtig zu sein – ich kann mich aber auch täuschen, es käme auf einen Versuch an.
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Nikolaus Meyer # 2 – 25.07.23, 18:50 Uhr
Sehr geehrter Herr Schmid,
ein Kompliment für dieses Rezept! Ein Lob lässt sich, gerade bei Rezepten, schwer in Worten ausdrücken. Insofern probiere ich es mal mit dem Bild, dass sich mir hier beim Schreiben bietet: Mein jüngster Sohn (1,5 Jahre) hat gerade die erste Erwachsenenportion gegessen und die ersten Worte gesprochen („Lecker, lecker“). Unser Großer (6) isst seine zehnte Portion und spricht nicht mehr… Wir, meine Frau und ich, sitzen hier mit Teelöffeln und essen die Soßenreste direkt aus dem Topf. Wir haben gleich die doppelte Portion gemacht und es wird nichts übrig bleiben. Sehr lecker!!!
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Ralf Schmid # 2.1 – 26.07.23, 10:02 Uhr
Danke fürs Kompliment! Verstehe ich Sie richtig, dass Ihr Jüngster das übliche »Mama« etc. übersprungen hat und gleich mit »Lecker« in die komplexe Welt der sprachlichen Kommunikation eingestiegen ist? Das wird bestimmt ein guter Esser – der Große scheint ja ganz offenkundig schon einer zu sein. Ich kann Sie nur zur Wiederholung ermuntern, auch Bolognese wird immer besser, je öfter man sie kocht.
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Nikolaus Meyer # 2.2 – 29.07.23, 19:00 Uhr
Sie haben mich richtig verstanden! Nun liegt die Latte natürlich dementsprechend hoch…
Herzliche Grüße aus Frankfurt
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Gerald # 3 – 09.02.24, 08:16 Uhr
Diese Rezept hat nichts mit Artusis Original zu tun. Was nicht heißt, dass es nicht schmeckt
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Ralf Schmid # 3.1 – 09.02.24, 12:39 Uhr
Dass es nichts damit zu tun hat, ist übertrieben, auf der Zutatenliste finden sich eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten. Im Kern haben Sie aber recht: Bei Artusi gibt es weder Tomaten noch gemischtes Hackfleisch und vor allem ist es ganz sicher kein Schmorgericht, sondern erinnert eher an Kalbsgeschnetzeltes. Meine ursprüngliche Aussage, es entspräche »im Wesentlichen heutigen Gepflogenheiten« war insofern noch viel übertriebener. Ich habe sie mal eben deutlich nach unten korrigiert, netterweise war sie ja nicht in Stein gemeißelt.
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